Altriper Wörterbuch - Dialektlandschaft

Dr. Post Rudolf, in: Altriper Wörterbuch, S. 9 - 12

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Rudolf Post  

Der Dialekt von Altrip und seine Stellung innerhalb des Pfälzischen

  „Südlich der beiden Schwesterstädte Mannheim-Ludwigshafen liegt am linken Rheinufer das einstige Fischerdorf Altrip. Schon der Name sagt uns, daß hier in der Zeit römischer Besatzung des linken Rheinufers eine Siedlung war. Unweit des heutigen Dorfes hat man im Rhein die Reste des Römerkastells gefunden. Der Ort unterscheidet sich nicht nur durch sein hohes Alter von den Nachbarorten, er hat auch dank seiner besonderen Lage sich bis in unsere Zeit herein ein Volkstum bewahrt, das sich von den Nachbardörfern abhob. Altrip liegt nördlich eines Altrheinarmes, gleichsam auf einer Halbinsel. Wie eine Karte aus dem Jahr 1690 zeigt, zieht sich von diesem Altrheinstück ein Wasserlauf nach Norden zum Hauptlauf des Rheins, so daß die inselhafte Lage der Altriper Gemarkung noch augenscheinlicher ist. Die westlichen Nachbardörfer Waldsee, Neuhofen und der Stadtteil Ludwigshafen-Rheingönheim liegen in größerer Entfernung von Altrip. Dazu kommt schließlich, daß nach Westen hin ein breiter Waldstreifen das Ackerland abschloß. Man erzählt sich, in der Revolutionszeit hätten die Franzosen Altrip überhaupt nicht gefunden. Diese Lage vor allem führte zu einer sprachlichen Sonderung des Dorfes.”

  Dieses längere Zitat leitet einen Aufsatz “Die Mundart von Altrip” ein, den Dr. Otto Bertram, im Jahre 1940 in den “Heimatblättern für Ludwigshafen und Umgebung” veröffentlicht hat. Bertram war zu dieser Zeit Leiter der pfälzischen Wörterbuchkanzlei in Kaiserslautern und er hatte im Jahre 1937 seine Doktorarbeit “Die Mundart der mittleren Vorderpfalz” veröffentlicht, in der auch die Mundart von Altrip  berücksichtigt ist. Sowohl durch diese Arbeit, für die Bertram Sprachaufnahmen in Altrip gemacht hatte, wie auch durch die systematischen Befragungen der pfälzischen Wörterbuchkanzlei, hier diente lange Jahre Dr. Robert Baumann als Altriper Auskunftgeber, hatte Bertram einen guten Überblick über lautliche Besonderheiten der Altiper Mundart, die er als ausgesprochene Reliktmundart herausarbeitet. Das heißt, er zeigt Restformen auf, die wohl früher in größeren Gebieten der linksrheinischen Pfalz gegolten haben mögen, die aber heute ausschließlich in Altrip und dann wieder auf der rechten Rheinseite begegnen.

  Auch heute noch, kann man in großen Zügen das bestätigen, was Bertram 1940 festgestellt hat. Wer das hier vorliegende Wörterbuch aufmerksam durchsieht, wird an vielen Stellen Wörter und Lautformen finden, die heute noch die Einzigartigkeit der Altriper Mundart auf der linken Rheinseite herausstellen. Wir werden später noch Beispiele betrachten. Zuvor soll jedoch eine grundsätzliche Zuordnung der Mundart von Altrip innerhalb der Dialektgeographie des pfälzisch-badischen Raumes geleistet werden.  

Die Mundart von Altrip wird innerhalb der deutschen Mundarten zum Rheinfränkischen gezählt. Kerngebiet dieses Rheinfränkischen ist der pfälzisch-rheinhessische Raum. Im Hunsrück grenzt dann das Moselfränkische an während sich im Süden das Alemannische anschließt. Nach Südosten und Osten stößt das Rheinfränkische an das Süd- und Ostfränkische und es sind zum Südfränkischen von Altrip aus nur wenige Kilometer, denn auf der beigegebenen Karte kann man sehen, daß die sogenannte Appel-Apfel-Linie, die das Rhein- und Südfränkische trennt, zwischen Hockenheim und Schwetzingen verläuft. Etwas weiter nach Südosten verschoben, und daher nicht mehr auf der Karte, findet sich die dazugehörige Pund -Pfund-Linie. Im Rheinfränkischen sagt man also Appel, Kopp, kloppe, Pund, Parrer, Peif, im Südfränkischen dagegen Apfel, Kopf, klopfe, Pfund, Pfarrer, Pfeif

Sprachgrenzen in der Umgebung von Altrip

  Innerhalb des Rheinfränkischen gehört die Mundart von Altrip zum Pfälzischen, genauer zum Ost-, bzw. Vorderpfälzischen, denn gegenüber dem Westpfälzischen hat das Partizip der starken Verben eine e-ähnliche Endung, während es im Westpfälzischen endungslos ist. Also vorderpfälzisch gebroche, g’sunge, kumme  aber westpfälzisch gebroch, gesung, kumm. Dieses Vorderpfälzische kann wiederum in eine Nord- und Südhälfte geteilt werden, wofür man die is-isch-Linie heranziehen kann. Im nördlichen Teil der Vorderpfalz sagt man also is ‘ist’ im Süden dagegen isch. Altrip gehört überwiegend noch zum nördlichen is-Gebiet.

Wenn auch Altrip auf der linken Rheinseite liegt, so hat es doch mehrere Eigenheiten, die es mit den Mundarten der rechten Rheinseite, also der Kurpfalz verbinden. Durch diese sprachlichen Gemeinsamkeiten mit der anderen Rheinseite hat die Mundart von Altrip innerhalb der linksrheinischen pfälzischen Mundarten einen einzigartigen Charakter. Einige dieser Besonderheiten seien im folgenden näher betrachtet.

Ein erstes und besonders auffallendes Merkmal der alten Altriper Mundart wird von den Sprachwissenschaftlern mit dem Ausdruck “d-Lambdazismus” bezeichnet (so benannt nach dem griechischen Buchstaben Lambda = l). Es handelt sich hierbei um ein Phänomen, bei dem bestimmte d- und t-Laute zu l weiterentwickelt werden. Also laden wird zu lååle oder Faden zu Fallem. Blättert man in diesem Wörterbuch, so begegnet man zahlreichen Lambdazismusformen. Hier eine Auswahl: Gewilla ‘Gewitter’, Blälla ‘Blätter’, Bollem ‘Boden’, zailisch ‘zeitig=reif’, Waile-kätzle ‘Weidenkätzchen’, Zilla-pappel ‘Zitterpappel’, Fellare ‘Federn’, Flella-maus ‘Fledermaus’, Kalla ‘Kater’, Ruula ‘Ruder’, blaulere ‘plaudern’, lällisch ‘ledig’, lillerisch ‘liederig’, Moole ‘Mode’, Oola ‘Ader’, Oolem ‘Atem’, Schliele ‘Schlitten’, drääle ‘treten’, jääle ‘jäten’, Spååle ‘Spaten’, schnaile  ‘schneiden’, Lälla ‘Leder’, beele ‘beten’ usw. Dieser Lambdazismus findet sich rechtsrheinisch geschlossen in einem Gebiet um Feudenheim und nördlich von Heidelberg. Altrip stellt hier ein inselhaft verbliebenes Reliktgebiet dar. Offensichtlich war der Lambdazismus früher auch in der linksrheinischen Vorderpfalz wie auch in der Kurpfalz weiter verbreitet.  

Eine ebenso auffallende, in das linksrheinische Gebiet weisende Eigenheit Altrips stellen die mundartlichen Entsprechungen von altem ei dar. Während dieser Laut in der Vorderpfalz und im Gebiet Mannheim – Heidelberg zu ää bzw. ee geworden ist, entspricht ihm in Altrip ein åå. Also Gåås ‘Geiß’, Dåål ‘Teil’, Båå ‘Bein’, Sååf ‘Seife’, Såål ‘Seil’, hååle ‘heilen’, gååfere ‘geifern’, Lååder ‘Leiter’, Låådsel ‘Leitseil’, Wååd ‘Weide’ usw. Die Mundart von Altrip steht mit dieser Eigenheit wiederum isoliert, denn Korrespondenzen zu den Altriper Formen finden sich in der Kurpfalz erst einige Ortschaften weiter im Südosten, dann nördlich des Neckars und auf der linken Rheinseite in der Nordpfalz und in Rheinhessen. Gelegentlich finden sich in Altrip jedoch auch schon die vorderpfälzischen ää-Formen. So kann man neben Klååd ‘Kleid’ auch schon Klääd hören. Wie ei verhalten sich auch die alten, auf mittelhochdeutsch öu zurückgehenden Formen, z. B. Frååd ‘Freude’.

  Wie ein einsam stehen gebliebener Brückenpfeiler, bei dem die Brückenbögen zu beiden Seiten schon lange weggebrochen sind, ragt die Mundart von Altrip aus dem Meer der Sprachgeschichte, wenn man die nun folgenden Lauterscheinungen untersucht. Betrachtet man nämlich Sprachkarten des Rhein-Neckar-Raumes, die mundartliche Realisierungen von oo und ee in ihrer räumlichen Verbreitung darstellen, also etwa Wörter wie rot und Schnee, so kann man zwei voneinander getrennte Gebiete erkennen, die dieses lange oo und ee diphthongieren, das heißt als Zwielaute aussprechen, nämlich als ou und äj/ej, also rout und Schnäj/Schnej. Zwischen diesen Gebieten, das eine liegt um Landau herum, das andere findet sich in der östlichen Kurpfalz, liegt nun wieder weitgehend isoliert Altrip. Ich nenne hierzu weitere Diphtongierungsformen aus Altrip: Koule ‘Kohlen’, Schlouse ‘Schloßen=Hagel’, Lous ‘Lose=Muttersau’, schdouse ‘stoßen’, roule ‘roden’, Schdrou ‘Stroh’, Broud  ‘Brot’, woune ‘wohnen’ und bejs  ‘böse’. Deutlicher als in den Beispielen zuvor wird hier der Charakter der Altriper Mundart als Bewahrerin älteren Sprachstandes, der relikthaft erhalten geblieben ist, während viele Orte der unmittelbaren Umgebung längst andere Lautungen angenommen haben.

  Daß der Rhein sich bei Altrip nicht als Sprachgrenze ausgewirkt hat, wurde schon aus den hier genannten Eigenheiten deutlich. Daneben zeigt Altrip noch eine weitere linksrheinische Eigenheit, nämlich bei den Formen des Diminutivs (Verkleinerungsform) in der Mehrzahl. Gelegentlich tauchen im Material dieses Wörterbuchs nämlich noch Formen wie Messalin ‘Messerchen’, Gänslin ‘Gänschen’, Schääflin ‘Schäfchen’, Häärlin ‘Härchen’ oder Sailin ‘Säuchen’ auf. Solche Formen hört man sonst nur auf der rechten Rheinseite, während in der übrigen Vorderpfalz Formen auf -le, -elcher oder -lich, z. B. Schääfle, Schääfelcher, Schääflich ‘Schäfchen’ gebräuchlich sind.

  Wie wenige Mundarten in unserem Raum zeigt sich die Mundart von Altrip, so wie sie hier aus Befragungen von älteren Ortsansässigen dokumentiert ist, als alte und sehr eigenständige Variante der pfälzischen Mundart. Wenn man bedenkt, daß sie jahrhundertelang innerhalb des Ortes von Mund zu Mund weitergegeben wurde und wenn man die vielen sprachgeschichtlich alten und lautlich eigenwilligen Elemente in ihrem Wortschatz kennengelernt hat, so muß man sie als tradiertes Kulturgut allerersten Ranges betrachten. Die Bewohner von Altrip können stolz auf ihre individuelle Mundart sein und es wäre schön, wenn möglichst viele sie in ihrer Eigenart pflegen und an ihre Kinder weitergeben. Dieses Wörterbuch kann ein Anreiz dazu sein.